Reduzierte Beschreibung der Chemie-Turbulenz-Wechselwirkung

Turbulente Flammen sind durch ein breites Spektrum von Zeit-, Längen- und Ge­schwin­­dig­keitsskalen charakterisiert.


Eine direkte Lösung der Erhal­tungs­glei­chun­gen für Impuls, Energie, Masse und Teilchenmassen ist prin­zi­piell möglich, jedoch, wie oben dargelegt, vollkommen unpraktikabel. Zu­sätz­lich be­wirkt die große para­­met­ri­sche Sensitivität turbulenter Prozesse, dass für praktisch re­le­van­te Größen, wie z.B. die mittlere Tem­pe­ratur und mittlere Schadstoff­konzen­trationen, ei­ne Mit­te­lung über viele solcher direkten nume­rischen Simulationen nötig wäre. Zu völlig fal­schen Ergeb­nis­sen führt jedoch wegen der starken Nichtlinearität der che­mi­schen Kinetik ei­ne „naive“ Berech­nung der mittleren chemischen Quellterme aus den Mittel­wer­ten von Temperatur und Spe­zies­konzentrationen. Aus diesem Grund ver­wen­det man zur Simulation technischer Verbrennungssysteme statistische Modelle, die auf einer Betrachtung der Verbundwahrscheinlichkeits­dichte­funktion („probability den­sity function“, PDF) für Geschwindigkeiten und Skalare beruhen. Die Bestimmung der (orts- und zeitabhängigen) PDF gestaltet sich jedoch sehr schwierig. Am Institut für Technische Thermodynamik wird eine sehr genaue, aber auch sehr aufwändige Methode zur Bestimmung der PDF verwendet, die auf der Lösung einer Trans­port­gleichung beruht. Bei diesem Ver­fah­ren wird die chemische Kinetik exakt be­handelt. Die turbulenten Mischungs­pro­zes­se müssen hier jedoch modelliert werden. Neben dem Problem der Modellierung der molekularen Trans­port­pro­zesse erschwert insbesondere die hohe Dimensionalität der Transport­gleichung ihre Lösung, da jede chemische Spezies neben den Geschwin­digkeits­komponenten als un­ab­hängige Variable in die Transportgleichung eingeht. Deshalb werden üblicherweise Monte-Carlo-Verfahren zur Lösung eingesetzt.

 

Reduzierte Beschreibung von Mehrphasenprozessen
Viele technische Verbrennungsprozesse nutzen flüssige Brennstoffe (z. B. Dieselmotoren). Dies erschwert die mathematische Modellierung zusätzlich, da Mehrphasenprozesse vorliegen. Die Kom­plexität hängt dann entscheidend von den Eigenschaften des Kraftstoffsprays ab. Eine statistische Formulierung erhält man durch Betrachtung der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion für das Spray, d.h. für die disperse Phase. Analog zur PDF-Transportgleichung für die Gasphase lässt sich die zugrunde liegende Spraygleichung durch Monte-Carlo-Verfahren lösen. Schwer zu bestimmen sind jedoch die Austauschterme zwischen disperser Flüssigkeitsphase und Gasphase, die durch die Verdunstungsgeschwindigkeit, die Feinstruktur der Rektionszone um die Flamme und gegebenenfalls sogar durch Prozesse im Tropfen (Konvektion, Wärmeleitung) beeinflusst werden. Auch hier erlauben detaillierte Simulationen einen genauen Einblick in die Koppelung der Strömungs- Transport- und Reaktions­prozesse (siehe oben).

 

Koppelung der Teilmodelle
In den vorangehenden Abschnitten wurde am Beispiel der chemischen Kinetik, der Tropfenverbrennung und der Turbulenz-Chemie-Wechselwirkung beschrieben, wie aus Detailmodellen und Detail­simulationen reduzierte Modelle für die chemische Kinetik und die Chemie-Tur­bulenz-Wechselwirkung abgeleitet werden können. Für die Simulation technischer Verbrennungsprozesse müssen diese Teil­mo­del­le zu einem Gesamtmodell gekoppelt werden, das eine effiziente Simulation des Ge­samt­­prozesses erlaubt. Dies ist in Abbildung 6 schematisch dargestellt.

 

 
 Schematische Darstellung der hierarchischen Modellierungsstrategie

 

Experimentelle Untersuchung von Verbrennungsprozessen

 

Obwohl numerische Simulationen immer genauer, vorhersagekräftiger und durch die stetig ansteigende Rechnerleistung auch immer praktikabler werden, bleibt die empirische Untersuchung von Verbrennungsprozessen unverzichtbar. Experimente werden durchgeführt, um die Vorhersagen der Rechenmodelle zu überprüfen, um Informationen über unbekannte Größen in den Rechenmodellen zu erhalten, oder nicht zuletzt um grundlegend neue Phänomene zu finden. Die Anwendungen reichen von der Bestimmung thermodynamischer Größen über die Messung von Zündverzugszeiten in Kraftstoff/Luft-Gemischen bis zur laserdiagnostischen Untersuchung der Verbrennung in Motoren und in turbulenten Flammen.

Aus der Natur der Verbrennung ergeben sich besondere Anforderungen an die Messtechniken. Es werden sehr hohe Temperaturen und Drücke erreicht (2000°C werden regelmäßig überstiegen, in Dieselmotoren treten z.B. Drücke von über hundert bar auf). Die Messgeräte müssen auch unter solchen extremen Bedingungen zuverlässig und genau arbeiten. Zudem treten bei der technisch besonders wichtigen turbulenten Verbrennung oft sehr rasche zeitliche Transienten auf; die Temperatur an einem Messpunkt kann z.B. innerhalb von Millisekundenbruchteilen um 1000°C ansteigen. Ein gutes Messverfahren sollte in der Lage sein, diese Zeitskalen aufzulösen. Ähnliche Anforderungen gelten auch für das räumliche Auflösungsvermögen: Die relevanten Skalen liegen bei vielen Verbrennungsprozessen im Submillimeterbereich, und das Messverfahren soll in der Lage sein, Bereiche dieser Größe aufzulösen. Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus der großen Sensitivität vieler Verbrennungssysteme gegen äußere Störungen: Bei einer kleinen Veränderung der äußeren Bedingungen (die u. U. von dem Messinstrument selbst stammt) kann sich das Systemverhalten stark ändern. Die Messmethode soll also nicht intrusiv sein.

Es ist klar, dass kaum eine Methode allein dieses breite Anforderungsspektrum erfüllen kann. Es existieren mehrere Methoden, die je nach der genauen Anforderung einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können. Prinzipiell kann zwischen Grundlagenexperimenten und Experimenten an realen Systemen unterschieden werden. Erstere werden weitgehend unabhängig von konkreten technischen Systemen oder technischen Anforderungen zur Entwicklung und Validierung von Modellen oder zur Grundlagenforschung eingesetzt. Dementsprechend sind die Resultate von allgemeingültigem Interesse und finden langfristig Eingang in sehr unterschiedliche technische Systeme. Letztere sind meist an konkrete technische Entwicklungen gebunden und werden an Versuchsträgern, die mit real eingesetzten Systemen identisch sind oder ihnen sehr nahe stehen, eingesetzt. Die hierbei gewonnen Erkenntnisse sind typischerweise spezifisch für das speziell untersuchte System, und ihre Anwendung findet meist kurzfristig statt.

 

Validierungsexperiment für die chemische Kinetik

 

Die Frage nach den genauen Zahlenwerten gewisser Parameter, die in die Verbrennungsmodellierung eingehen, bildet einen zentralen Punkt der Forschung. Der in Abbildung 1 gezeigte Reaktionsablauf enthält beispielsweise für jede einzelne Elementarreaktion numerische Parameter, nämlich die sogenannten Arrhenius-Parameter, insbesondere die Aktivierungsenergie, dieser Reaktion. Die genaue Kenntnis solcher Parameter ist oft entscheidend für die Genauigkeit und Vorhersagekraft der Modellierungsresultate. Für viele technisch relevante Kraftstoffe sind die Arrhenius-Parameter jedoch nur grob bekannt. Es ist auch oft nicht aufgeklärt, ob ein Reaktionsschema alle wesentlichen Elementarreaktionen enthält. Um die Genauigkeit des Schemas abschätzen zu können, werden Versuche an einem System durchgeführt, dessen Verhalten bei Vorliegen eines Reaktionsschemas einfach und mit hoher Genauigkeit vorausberechnet werden kann. Ein solches System ist eine Rapid Compression Machine (RCM), wie sie am Institut für Technische Thermodynamik eingesetzt wird, um Zündverzugszeiten von Kraftstoff-Luft Gemischen zu messen. Die RCM ist eine Kolben-Zylindervorrichtung, ähnlich einem Hubkolbenmotor. Der Kolben wird pneumatisch innerhalb etwa einer hundertstel Sekunde in den Zylinder gedrückt, wodurch die Zylinderladung quasi adiabatisch verdichtet wird und so auf sehr hohe Temperaturen (bis über 1000 K) kommt. Der Kolben wird im oberen Totpunkt mechanisch verriegelt, wodurch das Volumen nach der Verdichtung zeitlich konstant bleibt.

   
Photographie der Rapid Compression Machine des Instituts für Technische Thermodynamik. Typischer Verlauf des Zylinderdrucks in der RCM. Der erste Druckanstieg (bei ca. 0.05 s) stammt von der Kompression des Gases durch den Kolben, der zweite (0.3 s) erfolgt nach der Selbstzündung des Gases. Der Druckabfall nach der Verdichtung und nach der Verbrennung kommt von Wärmeverlusten des Gases an die Zylinderwände.  

 

Im Versuch wird das zu untersuchende Kraftstoff/Luft Gemisch (in der Gasphase) in den Zylinder gefüllt, komprimiert und dann die Zeit bis zum Einsetzen der Selbstzündung gemessen. Diese Zeit kann mit der berechneten Zündverzugszeit verglichen werden, wodurch sich Aussagen über die Genauigkeit und Verbesserungsmöglichkeiten des zugrundeliegenden Reaktionsschemas ableiten lassen.

 

 

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