Das detaillierte Bild: Wechselwirkung chemischer und physikalischer Prozesse

Als einfaches Modell eines Verbrennungsprozesses, das sowohl die chemische Kinetik als auch Transportprozesse berücksichtigt, kann eine laminare, stationäre, eindimensionale Flamme herangezogen werden.

 

Solche stationären Flammen sind schematisch in Abbildung 2 gezeigt. Im Falle einer Vormischflamme strömen die Ausgangsstoffe in ein Gebiet, in dem sich verbranntes Abgas mit hoher Temperatur befindet. Bei Kontakt mit diesem Gebiet beginnen, wie oben beschrieben, die zur Zündung und Verbrennung führenden chemischen Reaktionen. Bezogen auf das anströmende Gasgemisch stellt die Flamme also eine Reaktionsfront dar, die in das unverbrannte Gebiet durch Transportprozesse hineinwandert. Bei nicht vorgemischten Flammen strömen Brennstoff und Oxidator getrennt in das verbrannte Gebiet; die Reaktion erfolgt in diesem Fall simultan mit der Mischung von Brennstoff und Oxidator. Die Reaktion findet in beiden Fällen nicht „autonom“, sondern unter dem wesentlichen Einfluss physikalischer Prozesse wie der kontinuierlichen Anströmung der Reaktionszone durch Frischgas, sowie durch Wärmeleitung und Diffusion chemischer Spezies zwischen den verschiedenen Zonen statt.

Durch diese physikalischen Prozesse wird eine explizite Ortsabhängigkeit in die mathematische Beschreibung der Verbrennung eingebracht. Die der Verbrennung zugrundeliegenden physikalisch-chemischen Gleichungen bilden daher nicht mehr ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem, sondern ein sehr großes und schwer zu lösendes System partieller Differentialgleichungen. Die Lösung dieser Gleichungen liefert das komplette Verhalten eines Verbrennungssystems für vorgegebene Bedingungen, einschließlich der Schadstoffbildung, auch für in der Technik wichtige Prozesse.

   

Schema einer flammenartigen Verbrennung. Vorgemischter Fall: Brennstoff und Oxidator sind vollständig gemischt, bevor die Reaktion einsetzt. 

Nicht vorgemischter Fall: Brennstoff und Oxidator werden in der Reaktionszone gemischt, Mischung und Reaktion finden simultan statt.

 

Diese Art der Berechnung ist also anzustreben, und in der Tat werden solche sogenannten Direkten Numerischen Simulationen (DNS[1]) von Verbrennungsprozessen durchgeführt. In Abbildung 3 ist links das Resultat der DNS einer turbulenten Wasserstoff/Luft-Flamme gezeigt, und zwar Anhand der örtlichen Verteilung des OH-Radikals (siehe Abschnitt „chemische Elementarkinetik“). Links der Flamme befindet sich unverbranntes Wasserstoff/Luft-Gemisch, rechts davon das verbrannte Abgas; die Reaktionszone wird durch den Anstieg des OH-Radikals markiert. Da bei dieser Rechnung die physikalischen und chemischen Gleichungen in allen Details und mit voller örtlicher und zeitlicher Auflösung gelöst wurden, gibt die Simulation ein sehr realistisches Bild der Verbrennung wieder. Sie zeigt beispielsweise die typische Auffaltung der Flamme durch das turbulente Strömungsfeld und das Auftreten des OH-Radikals in der verbrannten Zone (Abgas) rechts von der Flammenfront. Die Wechselwirkung physikalischer und chemischer Prozesse, die im Falle der turbulenten Verbrennung besonders komplex ist, wird in der DNS vollständig berücksichtigt, was im Prinzip zu quantitativ exakten Resultaten führt.

Solche sehr detaillierten Simulationen eignen sich, um grundlegende Phänomene der Verbrennung zu studieren und um Modelle für eine vereinfachte Beschreibung zu validieren. Sie werden oft dann  eingesetzt, wenn es schwierig oder unmöglich ist, die gewünschten Informationen aus Experimenten zu erhalten. Von besonderem Interesse ist hierbei die technisch sehr wichtige Verbrennung in mehrphasigen Systemen, wo flüssiger Kraftstoff in Form von Tröpfchen in heißer Luft verdampft und dann zündet und verbrennt. Detaillierte Simulations-Studien solcher Konfigurationen, wie in Abbildung 3 rechts für ein laminar von heisser Luft umströmtes Kraftstofftröpfchen gezeigt, sind wichtige Hilfsmittel bei der Entwicklung besserer Brennverfahren, zum Beispiel für Dieselmotoren und Turbinen.

Leider stößt die Durchführung solcher DNS als Hilfsmittel zur Entwicklung realer technischer Systeme auf sehr enge praktische und methodische Limitierungen. Das Problem ist zum einen der immense Rechenzeitbedarf, durch den selbst bei dem rasanten Anstieg der Rechengeschwindigkeit und ‑kapazität noch für viele Jahre eine vollständige Berechnung technisch relevanter Systeme (wie z.B. Kolbenmotoren, Gasturbinen oder Feuerungen in Kraftwerken) vollkommen unpraktikabel wird. Für die in Abbildung 3 links gezeigte zweidimensionale Berechnung einer turbulenten Flamme (auf einem Gebiet von 1cm2) werden beispielsweise mehrere Tage Rechenzeit benötigt; für technisch relevante Systeme würden DNS viele Monate oder sogar Jahre dauern. Selbst wenn das Rechenzeitproblem gelöst werden könnte, wären DNS zur Modellierung technischer Verbrennungssysteme kaum geeignet, da die entstehende riesige Menge an Detailinformation nur sehr schwer handhabbar ist. Es ist daher unverzichtbar, nach Möglichkeiten für eine vereinfachte —aber dennoch hinreichend genaue— Beschreibung der Verbrennung zu suchen.

   

Resultat einer direkten numerischen Simulation (DNS) der zeitlichen Entwicklung einer turbulenten Wasserstoff/Luft Flamme. Das in Falschfarbendarstellung gezeigte Konzentrationsfeld der Spezies OH hat eine Abmessung von 1cm×1cm. Die Simulation gibt realistisch wieder, wie die Turbulenz die Flamme auffaltet. 

Zeitliche Sequenz (simuliert) des Temperaturfelds bei der Zündung eines Methanoltröpfchens in einem heißen Luftstrom, der von links nach rechts führt. Das linke Bild zeigt das Temperaturfeld unmittelbar nach Zündung, die stromabwärts des Tröpfchens stattfindet. Danach wandert die Flammenfront zum Tröpfchen hin (rechtes Bild, 0.12 ms später).

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[1] Die Abkürzung „DNS“ für Direkte Numerische Simulation ist in der Verbrennung und Strömungsmechanik weit verbreitet, trotz der offensichtlichen Verwechslungsgefahr mit der gleichlautenden Abkürzung für Desoxyribonukleinsäure. 

 

 

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